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LYSISTRATA

nach Aristophanes

Am Anfang der von Theaterleiter und Regisseur Martin Goltsch entwickelten Idee und künstlerischen Konzeption stand die Überzeugung, dass die Authentizität und eingebrachte Lebenserfahrung der Schauspieler eine künstlerische Qualität habe.

Daraus kann man ableiten, dass ein Theaterstück für junge Menschen auch von jungen Menschen gespielt und beeinflusst werden müsse. Dies gilt umso mehr, wenn Lebensgefühl, Konfliktpotentiale und Phänomene der Jugendkultur zum Schwingen gebracht werden sollen.

Da Abbildungsrealismus bzw. kopierte Jugendsprache in diesem Zusammenhang billig oder anbiedernd sind, wurde mit Aristophanes´ „Lysistrata“ eine Textgrundlage gewählt, die gleichermaßen Distanz und Reibungsfläche für die Beteiligten schaffen sollte.


Der bei Aristophanes ursprüngliche Handlungsort „Akropolis“ in Athen ist in der künstlerischen Konzeption eine Discothek, in der sich rivalisierende jugendliche Volks- und Szenegruppen treffen. Hier prallen ihre unterschiedliche Rollenbilder, Traditionen und subkulturelle Erscheinungsformen aufeinander und münden in gewalttätige Auseinandersetzungen. Musik, Mode, Herkunft bedingen einerseits Identität und Lebensgefühl, andererseits ein konfliktbeladenes Potential für Reibung, Vorurteile und Gewalt.


Die künstlerische Erarbeitung sollte in direkter Auseinandersetzung und Mitarbeit Jugendlicher bzw. junger Erwachsener erfolgen, die unter fachlicher Anleitung, Begleitung und Schulung die Möglichkeit bekommen, ihre eigenen Probleme und Erfahrungen künstlerisch zu verarbeiten und zu reflektieren. Dabei sollen auch der hohe Unterhaltungswert der Komödie gewahrt bleiben und moralisierende Aspekte vermieden werden.


In diesem Projekt von THEATERausBruch, seinem Prozessverlauf, den Kursen und in der Inszenierung der „Lysistrata“ zeigt sich Theater in seiner politischen und gesellschaftlichen Dimensionen. Der selbstironische Traum einer gewaltfreien multikulturellen Gesellschaft soll den Betroffenen – Künstlern wie Publikum – auch kritische Impulse zur Selbstreflexion und Auseinandersetzung bieten. Es bietet allen Beteiligten Möglichkeiten zur Gewaltprävention –Schauspielern wie Zuschauern. Und auch Freude, denn – um mit Aristophanes zu sprechen - „der Krieg verlangt Gelächter, um durchschaut zu werden.


Als bewusster Standort für Proben und Aufführungen wurde das oftmals als „Bronx von Aachen“ bezeichnete Aachener Ostviertel gewählt. Die sozialen und multikulturellen Schwierigkeiten des Viertels spiegeln sich in den Problemen der Jugendlichen in besonderer Weise wider. Sie werden dabei zum Kaleidoskop heutiger Jugendprobleme.

Unter Jugendlichen ist eine zunehmende Gewaltbereitschaft, Verrohung und Brutalisierung festzustellen. Dabei organisieren sich Jugendliche zunehmend in Cliquen und Banden, deren Identität durch ethnische und/oder soziale Herkunft bestimmt ist und einen Reflex auf die Probleme der öffentlich eingeforderten multikulturellen Gesellschaft bilden.

Latenter Rassismus und Ausländerfeindlichkeit bedingen Vorurteile, Verhaltensweisen und Normen, die zunehmend in Gewalttätigkeiten münden, die oftmals ohne konkreten Anlass oder Konflikt zum Ausbruch kommen. Die erfahrene Gefährdung eigener kultureller, sprachlicher, religiöser und rollenbedingter Traditionen bedingt eine Verunsicherung, die den Nährboden zunehmender Ab- und Ausgrenzung und Aggressionen bildet. Durch Kleidung, Moden, mediengeprägte Trends, aber vor allem auch durch soziale Unterschiede und Zugehörigkeiten werden diese Konflikte verschärft. Auf der Suche nach Identität wird die Clique auch zum Familienersatz, bietet Sicherheit und Schutz und die Pflege eigener kultureller Identitätsmerkmale. Die gewünschte Zugehörigkeit allerdings ist häufig mit einem immensen Konformitätsdruck verbunden, der Andersartige und –denkende ausgrenzt und als Konfliktpotential ausreicht für Bandenbildung und Gewalt. Eine wichtige Rolle spielen dabei auch die Frauen, die einerseits pubertäts- und altersbedingt die Konfliktsituationen mitprägen, anderseits vor dem Hintergrund unterschiedlicher Rollenbilder, dem Anspruch nach Emanzipation und einer zunehmend freizügigen Sexualität ihren gesellschaftlichen Platz neu bestimmen müssen.